23. Juni 2022  Ein Gespräch mit Kolleg*innen an forschungsstarken HAWs in Baden-Württemberg.

moehringer blogPetra Möhringer leitet die Bibliothek der Hochschule Offenburg. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit den beiden Standorten Offenburg und Gengenbach studieren rund 4.200 junge Menschen. Die vier Fakultäten bieten ein interdisziplinäres und praxisorientiertes Fächerspektrum in den Bereichen Technik, Wirtschaft und Medien. Die Hochschule unterhält an beiden Standorten Bibliotheken. Mit einem achtköpfigen Team (6,25 Stellen) versorgen diese neben den Studierenden knapp 200 Lehrende und Forschende mit der nötigen Literatur und betreuen mehr und mehr den Publikationsbereich der Hochschule. An der forschungsstarken Hochschule in Baden-Württemberg lag das Publikationsaufkommen in den vergangenen drei Jahren bei durchschnittlich 220 Publikationen pro Jahr.

hannemann blogBernd Hannemann ist Leiter der Hochschulbibliothek der HTWG Konstanz. Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung bietet auf einem Campus direkt am Bodensee für ca. 5.000 Studentinnen und Studenten ein breites Fächerspektrum in den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Informatik, Wirtschaft, Architektur, Design und Asien. Die Bibliothek als einzige Einrichtung auf dem Campus gewährleistet die Literatur- und Informationsversorgung der Hochschule mit 5,7 Personalstellen und einem Bestand von ca. 250.000 E-Books und Printbüchern. Das Publikationsaufkommen der ca. 220 wiss. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betrug im Durchschnitt der letzten drei Jahre 113 Veröffentlichungen jährlich.

ebrecht blogKatharina Ebrecht leitet die Hochschulbibliothek Reutlingen. Die Hochschule Reutlingen bietet 5.200 Studierenden Bachelor- und Masterstudiengänge in den Bereichen Wirtschaft, Informatik, Technik, Chemie sowie Textil und Design. Zusammen mit dem Rechen- und Medienzentrum der Hochschule betreibt die Bibliothek ein Lernzentrum mit einem breiten Spektrum an Lern- und Arbeitsräumen für Studierende. Mit 12,5 Personalstellen und einem Erwerbungsetat von rund 500.000 Euro sorgt die Bibliothek für die Informationsversorgung der Hochschulmitglieder. Mit 300 wissenschaftlichen Publikationen jährlich zählt die Hochschule Reutlingen zu den forschungsstarken Hochschulen in Baden-Württemberg.


 
Mit den DEAL-Verträge treibt die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen die Umstellung des wissenschaftlichen Publikationssystems auf Open Access voran. Wie wird das Thema Open Access an den HAWs wahrgenommen und diskutiert? oder auch: Gibt es etwa eine spezielle HAW-Perspektive auf das Thema?

Petra Möhringer: Publizieren ist definitiv ein wichtiges Thema in unserem Haus: Schließlich sind die Publikationszahlen der Hochschule ein Indikator für unsere Forschungsleistung. Die Wissenschaftler*innen erkennen mehr und mehr die Vorteile des Open Access-Publizierens - einfach, weil sie selbst sehr schnell und bequem an die Veröffentlichungen aus ihrem Bereich kommen. Allerdings ist es längst nicht so, dass sie selbst Open Access publizieren. Der Wille ist da, insbesondere, um eine hohe Reichweite zu erzielen, aber die Finanzierung der Publikationskosten ist oft eine Hürde.

Katharina Ebrecht: Aus unserer Hochschulbibliografie lässt sich ablesen, dass 41 Prozent aller Publikationen der Hochschule Reutlingen der Erscheinungsjahre 2014-2021 Open Access sind. Im Jahr 2020 wurden 50 Prozent aller Publikationen Open Access publiziert. Nach meiner Einschätzung gehört Open Access-Publizieren zum Alltag an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.

Bernd Hannemann: Das Thema Open Access spielt in unserem Haus noch keine wesentliche Rolle. Die Publikationszahlen einer Hochschule sind zwar relevant, unter anderem für die Verteilung von Zentralmitteln des Landes in Baden-Württemberg. Forschungsstarke HAWen vergleichen sich aber mehr über die Höhe der eingeworbenen Drittmittel. Zudem ist der Anteil an industrieller Auftragsforschung nicht unbedeutend, was sich naturgemäß nicht unbedingt in einer relevanten Zahl von Publikationen niederschlägt.

Das Thema OA wurde und wird bei uns primär von der Bibliothek vorangetrieben, so ist es in der OA-Policy der Hochschule festgelegt worden, und die Bibliothek stellt auch Mittel und Services zu Open Access bereit. Das ist wichtig, denn eine Policy ohne Maßnahmen schafft keine Akzeptanz.

Was hat sich an Ihrer Einrichtung in Bezug auf Open Access durch die Teilnahme an den DEAL-Verträgen geändert?

Bernd Hannemann: Bei DEAL liegt der Schwerpunkt der Nutzung eindeutig auf der Read-Komponente, wenngleich es auch einige wenige hybride Springer-DEAL-Veröffentlichungen gab. Dadurch kommen die Forscher*innen aus dem Haus dann manchmal nicht über die Bibliotheksservices, sondern über ihre Autor*innentätigkeit während des Publikationsprozesses zum ersten Mal mit DEAL in Berührung. Wichtiger als hybrid sind (auch in Bezug auf die Fördervorgaben der verschiedenen Publikationsfonds) die Gold-OA-Publikation. Insgesamt bildet DEAL einen Baustein der OA-Förderung in unserer Hochschule. Nicht mehr und nicht weniger.

Petra Möhringer: Über die Landeslizenzen für Baden-Württemberg hatten wir vor DEAL bereits lesenden Zugang zu den Plattformen von Wiley und Springer Nature mit ähnlichen Konditionen. In diesem Bereich hat DEAL für uns keinen Mehrwert gebracht. Für das – kostenpflichtige – Open Access-Publizieren musste zunächst ein Bewusstsein bei unseren Autor*innen geschaffen werden. Da sie ihre Publikationsorgane in der Regel nicht nach den von uns abgeschlossenen Verträgen auswählen, sind sie eher zufällig über DEAL „gestolpert“. Natürlich begrüßen sie es, ihre Artikel in hybriden Journals ohne zusätzliche Kosten veröffentlichen zu können. Die APC für Gold Open Access werden allerdings von den Autor*innen getragen.

Katharina Ebrecht: Über die DEAL-Verträge und die Optionen, in Springer- und Wiley-Zeitschriften zu publizieren, habe ich die Wissenschaftler*innen der Hochschule Reutlingen mehrfach informiert. Generell kann man sagen, dass die Zahl der kostenpflichtigen Open Access-Publikationen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, v.a. durch den Anstieg an Publikationen bei dem Verlag MDPI.

An vielen Universitäten entstand in den letzten 10-15 Jahren Open Access-Infrastrukturen wie z.B. Open Access-Beauftragte oder auch Publikationsfonds, die durch die DFG gefördert wurden. Wie ist die generelle Situation an den HAWs diesbezüglich, v.a. auch mit Blick auf entsprechende Services und Angebote der Bibliotheken?

Bernd Hannemann: Hier eine generelle Antwort zu finden ist schwer, vor dem Hintergrund der Heterogenität der deutschen Fachhochschulen und ihren ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. In Konstanz stehen wir bezüglich der Etablierung von Open Access-Infrastrukturen erst am Anfang. In Abstimmung mit Forschungsabteilung, Forschungsgremien und Hochschulleitung wurde eine Open Access-Policy vom Senat verabschiedet, die Funktion einer OA-Beauftragten hat eine Mitarbeiterin der Bibliothek übernommen. Mit zusätzlicher Personalausstattung ist erst einmal nicht zu rechnen. Die Hochschule hat auf Antrag der Bibliothek einen zentralen Publikationsfonds etabliert, derzeit noch außerhalb des Bibliotheksetats. Über die Verwendung entscheidet die Bibliothek. Dazu übernimmt die Bibliothek ergänzend die Verwaltung von weiteren Fonds des Wissenschaftsministeriums und der DFG.

Zur Ermittlung und Zentralisierung der Publikationsaktivitäten in der Hochschule konnten insbesondere über einen DFG-Antrag für Publikationskosten die Strukturen auch mit der Hochschulverwaltung weiterentwickelt werden (z.B. einheitliche Kostenstellen), und ein zentrales Element der Publikationserfassung bildet die von der Bibliothek geführte Hochschulbibliographie.

Langfristiges Ziel ist die Etablierung einer zentralen OA-Stelle im Hause mit einer nachhaltigen Finanzierung von OA über ein durchgehendes Monitoring aller Publikationsaktivitäten verbunden mit Services zu Publikationsanfragen jeder Art.

Petra Möhringer: Fahrt aufgenommen hat das Thema Open Access in unserem Haus mit dem Förderprogramm „Open Access Publizieren“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK), das in 2017 aufgelegt wurde. Kernpunkt war die Finanzierung von Gold Open Access-Artikeln, die in begutachteten Zeitschriften erscheinen und zwar bis zu einem Höchstbetrag von 2.000 EUR brutto. Um an dem Programm teilzunehmen, musste eine Open Access-Policy verabschiedet und eine anteilige Finanzierung von mindestens 50 Prozent zugesichert werden. Mit der Policy wurde die Bibliothek als verantwortliche Stelle für Open Access definiert und – wenn auch erst in 2021 – ein hochschuleigener Publikationsfonds eingerichtet. Der Fonds deckt allerdings in erster Linie den Eigenanteil aus dem MWK-Förderprogramm ab; Veröffentlichungen, die den Förderkriterien nicht entsprechen, müssen von den Autor*innen derzeit selbst getragen werden. Das gilt auch für DEAL Gold-Publikationen: Die Förderung über den MWK-Fonds scheitert aus rein formalen Gründen.

Die Open Access-Infrastruktur in unserem Haus würde ich insgesamt als „eher bescheiden“ bezeichnen: Letztlich ist das Thema in der Bibliothek verankert - wo es natürlich hingehört - und wird von der Bibliotheksleitung neben vielen anderen Aufgaben betreut. Aufgrund der Dynamik von Open Access einerseits und einer Personalstruktur mit gerade mal 6,25 Personalstellen an zwei Standorten andererseits, ist das gar nicht anders machbar. Wünschenswert wäre eine zusätzliche Personalstelle in adäquater Eingruppierung, die das Thema betreut und vorantreibt.

Katharina Ebrecht: Auch an der Hochschule Reutlingen waren der Open Access-Publikationsfonds für Hochschulen in Baden-Württemberg und der DFG-Antrag im Programm “Open Access Publikationskosten” wichtige Meilensteine. Hinzu kam unsere Beteiligung an einem MWK-geförderten OER-Projekt unter der Federführung der Universitätsbibliothek Tübingen. Im Rahmen des Projekts wurden Interviews und Gespräche mit Lehrenden geführt; Workshops und Vorträge informierten über OER, CC-Lizenzen und die Vorteile einer Kultur der Openness. Dadurch hat das Thema Open Access bei uns zusätzlichen Rückenwind bekommen.

Welche Services im Bereich Open Access bieten Sie an Ihren Einrichtungen jenseits der DEAL-Verträgen an?

Bernd Hannemann: Neben DEAL sind aktuell keine weiteren Transformationsverträge abgeschlossen. Im Rahmen von klassischen Subskriptionsvereinbarungen wird auf rabattierte APCs hingewiesen (z.B. bei der ACM oder bei IEEE).

Über Open Access hinaus bieten wir ein umfangreiches Schulungsprogramm und Beratungsservices zu wissenschaftlicher Publikation im Allgemeinen an und erarbeiten aktuell eine Publikationsrichtlinie der Hochschule. Insbesondere die Nachfrage nach Publikationsservices ist ein Desiderat, das sich aus der OA-Beratung heraus gezeigt und entwickelt hat.

Petra Möhringer: Im Rahmen unserer laufenden Subskriptionen konnten wir lediglich über das Sage-Konsortium an einem weiteren Transformationsvertrag teilnehmen. Wichtig wären weitere konsortiale Angebote für das OA-Publizieren bei MDPI und IEEE. Ansonsten ist das Publikationenaufkommen unserer Forscher*innen auf viele verschiedene Verlage verstreut, so dass pro Verlag nur einzelne Veröffentlichungen aus unserem Haus erscheinen. Das kann durchaus ein Grund dafür sein, warum wir unseren Subskriptionsvertrag gar nicht umwandeln können: Zu geringes Publikationsaufkommen bei einem einzelnen Anbieter. Gleichzeitig veröffentlichen unsere Autor*innen bei Verlagen, mit denen wir bislang keinerlei Verträge abgeschlossen haben. Da lässt sich dann halt auch nichts umwandeln ... und neue Verträge mit OA-Komponenten abzuschließen ist bei unserer Finanzdecke illusorisch. Rabatte im Rahmen von bestehenden Subskriptionsverträgen nehmen wir aber natürlich gern mit.

Aufgrund der doch überschaubaren Größe unserer Hochschule setzen wir auf individuelle Beratung: Unsere Wissenschaftler*innen wenden sich direkt an die Bibliothek, wenn Fragen rund um das Thema Open Access zu klären sind. Zusätzlich werden regelmäßig Schulungen angeboten in Absprache mit unserer Forschungsabteilung, Campus Research & Transfer (CRT). Außerdem pflegt die Bibliothek eine Webseite rund um das Thema Open Access.

Katharina Ebrecht: Als Open Access-Beauftragte der Hochschule bin ich Ansprechpartnerin für alle Fragen der Wissenschaftler*innen rund um Open Access, zum Beispiel zu CC-Lizenzen, zum Urheberrecht oder zu Predatory Publishing. Darüber hinaus erstellt die Hochschulbibliothek seit 2015 die Hochschulbibliografie in Kooperation mit dem Reutlingen Research Institute. Bei allen Publikationen wird erfasst, ob sie Open Access sind oder nicht, und wenn ja, welche Art von Lizenz vorliegt. Damit erfasst die Hochschulbibliografie den Stand der Open Access-Publikationen an der Hochschule Reutlingen und kann als Ausgangspunkt für weitere Monitoring-Schritte dienen.

Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, um Open Access nachhaltig an Ihren Einrichtungen zu verankern?

Bernd Hannemann: Nachhaltige Strukturen für OA in der Hochschule sind realistischerweise primär angebotsorientiert zu etablieren. Das bedeutet umfängliche Finanzierung aus den derzeit verschiedensten Quellen, umfangreiche inhaltlichen und administrativen Services als „Rundum-Sorglos-Paket“ für die Wissenschaftler*innen und ein umfangreiches Beratungskonzept, nicht nur zu OA im Speziellen, sondern auch zum Publizieren im Allgemeinen. Ganz wesentlich ist eine etablierte und enge Abstimmung mit den Forschungsabteilungen und -gremien im Haus.

Petra Möhringer: Kurz und knapp: Ausreichend Finanzmittel für Personal und sämtliche publikationsbezogenen Ausgaben.

Katharina Ebrecht: Wir bräuchten eine E13-Stelle für eine Mitarbeiter*in, die sich ausschließlich um die Themen Open Access, Forschungsdatenmanagement und Open Educational Resources kümmert. Wir würden eine Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen rund um das Thema Openness etablieren. Es würden Workshops und Schulungen stattfinden. Die Mitarbeiter*in würde sich über Open Access-, OER- und FDM-Initiativen und -Projekte informieren, mit Akteur*innen an anderen Hochschulen vernetzen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse an der Hochschule Reutlingen umsetzen, z.B. in Form von maßgeschneiderten Services für die Forschenden und für die Lehrenden.

Frau Ebrecht, Herr Hannemann, Frau Möhringer, vielen Dank für das Gespräch!